Gesellschaft/Politik


Das letzte Kind im Wald ...

Das Natur-Defizit-Syndrom beschreibt die negativen Folgen, die entstehen können, wenn Menschen – insbesondere Kinder – zu wenig Zeit in der Natur verbringen. Geprägt wurde der Begriff durch Richard Louv in seinem Buch "Das letzte Kind im Wald". 


Die zunehmende Entfremdung von der natürlichen Welt, die Nichtkenntnis und das Nicht-mehr-Erleben natürlicher Rhythmen und Erscheinungen können zu einer Reihe von Problemen führen, die sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit beeinträchtigen. Dies betrifft vor allem Kinder und Jugendliche und deren Entwicklung, gilt aber auch für Erwachsene und die gesamte Gesellschaft. 


Kinder, die wenig Kontakt zur Natur haben, zeigen oft eine geringere Aufmerksamkeitsspanne und größere Schwierigkeiten bei der Konzentration. Studien deuten darauf hin, dass die natürliche Umgebung kognitive Funktionen verbessern und ADHS-Symptome lindern kann. 


Das freie Spiel im Freien fördert zudem die Kreativität, die Problemlösungsfähigkeiten und die soziale Entwicklung. Kinder lernen, Risiken einzuschätzen, ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern und im Team zu arbeiten.
Aber nicht nur Kinder sind betroffen. Auch Erwachsene leiden unter dem Mangel an Naturerlebnissen. Der moderne Lebensstil, der oft von langen Arbeitszeiten in Innenräumen und der ständigen Nutzung digitaler Medien geprägt ist, kann zu erhöhtem Stress, Angstzuständen und einem Gefühl der Entfremdung führen. Die Natur hingegen wirkt nachweislich stressreduzierend. Studien haben gezeigt, dass der Aufenthalt in der Natur den Cortisolspiegel senken, den Blutdruck regulieren und das Immunsystem stärken kann.


Die lila Kuh
Ein Beispiel für Naturentfremdung aus Deutschland: Bei der Untersuchung eines Zeichenwettbewerbs, bei dem 30 Prozent der teilnehmenden 40.000 Kinder Mitte der 1990er Jahre in Bayern eine Kuh in der Farbe Lila ausmalten (Vorbild war wohl die berühmte lila Milka-Kuh), folgerten die Forscher: „ … dass Kinder und Jugendliche die Natur zu einer idyllischen, harmonischen Parallelwelt idealisieren, in der der Mensch nichts verloren hat. Bäume zu pflanzen ist gut, Bäume zu fällen ist böse, und der Jäger ist sowieso ein Mörder.“ Sie nannten dieses Ergebnis auch Bambi-Syndrom


Die Gründe für das Natur-Defizit-Syndrom sind vielfältig. Dazu gehört die Urbanisierung, die zunehmende Digitalisierung, aber auch die teils übertriebe Sorge von Eltern („Helikoptereltern“) um die Sicherheit ihrer Kinder im Freien. 


Es ist jedoch wichtig, Wege zu finden, um die Verbindung zur Natur wieder zu stärken. Die Natur bietet uns unzählige Möglichkeiten, unser Wohlbefinden zu steigern – wir müssen sie nur wiederentdecken.
Und wenn wir erkennen, dass wir nicht außerhalb der Natur stehen, sondern Teil der Natur und von ihr abhängig sind: Vielleicht gehen wir insgesamt besser mit ihr um.


Lohnt sich Artenkenntnis und Naturverbundenheit?

In der Natur mit Erwachsenen oder anderen Kindern unterwegs zu sein, ist für Kinder enorm wichtig. (Foto: NABU/Sebastian Hennings)
In der Natur mit Erwachsenen oder anderen Kindern unterwegs zu sein, ist für Kinder enorm wichtig. (Foto: NABU/Sebastian Hennings)

Die Kenntnis häufiger Tier- und Pflanzenarten, die Naturverbundenheit unter den Generationen und deren Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, nehmen von älteren zu jüngeren Menschen ab. Das ist ein wesentliches Ergebnis einer im März 2025 veröffentlicht Studie (Link unten) der TU Berlin. 


Eine weitere wichtige Erkenntnis: Trotz der Unterschiede zwischen den Altersgruppen fördert ein gutes Artenwissen die Naturverbundenheit, also die emotionale, kognitive und erfahrungsbezogene Verbundenheit mit der Natur. Ist diese erhöht, steigt wiederum die Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen. Es lohnt sich somit, Artenkenntnis und Naturverbundenheit von Kindern und Jugendlichen zu fördern. 


„Es lohnt sich also, die Artenkenntnis und Naturverbundenheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu fördern. Dabei sollte auch die Chance genutzt werden, Wissen und Erfahrungen über Natur über Generationen hinweg weiterzugeben“, sagt Prof. Dr. Tanja Straka, die Erstautorin der Studie.


Kleiner Fuchs? Noch nie gehört oder gesehen …
Wie notwendig das ist, belegen die abnehmenden Artenkenntnisse im Übergang von älteren zu jüngeren Teilnehmenden der Studie. Verschiedene Organismengruppen sind zudem unterschiedlich gut bekannt: Schmetterlinge weniger als Vögel, und Vögel weniger als Pflanzen. So können 73 Prozent der Jugendlichen die Brombeere richtig benennen, aber nur 29 Prozent die Elster und nur noch 3 Prozent den Tagfalter Kleiner Fuchs. Im Vergleich dazu erkennen immerhin 22 Prozent der älteren Erwachsenen diesen in Deutschland verbreiteten Schmetterling, 61 Prozent die Elster und 84 Prozent die Brombeere. Das bestätigt das Phänomen der ‚generational amnesia‘, das einen Verlust an Kenntnissen über die Natur im Übergang von älteren zu jüngeren Generationen annimmt.


Veränderte Lebensstile von Kindern und Jugendlichen
„Der Schutz der biologischen Vielfalt ist eine Herausforderung für heutige und zukünftige Generationen – auf globaler wie lokaler Ebene. Viele Studien haben nachgewiesen, wie wichtig Naturerfahrungen, eine emotionale Verbindung zur Natur sowie Wissen über Tier- und Pflanzenarten sind, damit Menschen sich für die Natur einsetzen. Allerdings wurde auch gezeigt, dass aufgrund veränderter Lebensstile Kinder und Jugendliche häufig weniger Kontakt zur Natur haben und auch weniger als Erwachsene über Natur wissen. Damit wird die Befürchtung verbunden, dass sich zukünftige Generationen weniger für die Erhaltung der Natur einsetzen werden“, sagt Prof. Dr. Tanja Straka.


Und deshalb: Geben wir Kindern und Jugendlichen mehr echte Naturerfahrungen!

 

Link zur online frei verfügbaren Veröffentlichung „From nature experience to pro-conservation action: How generational amnesia and declining nature-relatedness shape behaviour intentions of adolescents and adults"


Hohe biologische Vielfalt macht glücklich

Bienenfresser wurden noch nicht in Oberhessen gesichtet. Aber irgendwann werden auch die ersten bei uns auftauchen. (Foto: Horst Engler/www.naturgucker.de)
Bienenfresser wurden noch nicht in Oberhessen gesichtet. Aber irgendwann werden auch die ersten bei uns auftauchen. (Foto: Horst Engler/www.naturgucker.de)

Eine hohe biologische Vielfalt in der näheren Umgebung ist für die Lebenszufriedenheit genauso wichtig wie das Einkommen. Wissenschaftler*innen konnten erstmals europaweit zeigen, dass die individuelle Lebenszufriedenheit mit der Vielfalt der Vogelarten im Umfeld korreliert. 


Zehn Prozent mehr Vogelarten im Umfeld steigern die Lebenszufriedenheit demnach mindestens genauso stark wie ein vergleichbarer Einkommenszuwachs. Doch auch ein zweiter Aspekt beeinflusst die Lebenszufriedenheit: die Umgebung. Besonders viele  Vogelarten gibt es nämlich dort, wo der Anteil an naturnahen und abwechslungsreichen Landschaften hoch ist und es viele Grünflächen und Gewässer gibt.

Vögel eignen sich als Indiz für biologische Vielfalt, da sie – vor allem in Städten – zu den sichtbarsten Elementen der belebten Natur zählen. Zudem ist ihr Gesang häufig selbst dann zu hören, wenn der eigentliche Vogel nicht zu sehen ist, die meisten Vogelarten sind beliebt und werden gern beobachtet.

Leider ist es aber so, dass viele Vogelarten und generell die biologische Vielfalt in der europäischen Agrarlandschaft in einem dramatischen Maße schwinden. Es besteht daher die Gefahr, dass auch die Lebenszufriedenheit der Menschen bei einer verarmten Natur leidet.

„Naturschutz sichert deshalb nicht nur unsere materielle Lebensgrundlage, sondern ist auch eine Investition in unser aller Wohlbefinden“, gab Studienleiter Methorst zu bedenken.

Publikation: Methorst, J. et al. (2020): The importance of species diversity for human well-being in Europe. Ecological Economics, doi: 10.1016/j.ecolecon.2020.106917


Büdinger Wolfgang-Ernst-Gymnasium ist weltweit die allererste „Blue Community School“

Wasser ist lebenswichtig - für alle Menschen. (Foto: Claus Diegel/www.naturgucker.de)
Wasser ist lebenswichtig - für alle Menschen. (Foto: Claus Diegel/www.naturgucker.de)

Als weltweit erste Schule trat das Wolfgang-Ernst-Gymnasium (WEG) der Blue Community im Jahre 2022 bei.  Die Mitbegründerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises Maude Barlow, überreichte persönlich am 23. Mai 2022 die Urkunde, und hielt vor den Schülern einen Vortrag, der ihnen das Thema Wasser zu einer Herzensangelegenheit werden ließ.


Die weltweite Initiative Blue Community, gegründet 2009, setzt sich für einen nachhaltigen und fairen Zugang zu Wasser für alle ein. Sie besteht aus einem Netzwerk von Gemeinden, Universitäten, NGOs, Schulen, Kirchgemeinden, Gewerkschaften und anderen Körperschaften, die sich mit einer Selbstverpflichtung zu den folgenden vier Grundsätzen einer Blue Community bekennen:  

  • Anerkennung des Wassers als Menschenrecht
  • Wasserdientsleistungen bleiben in der öffentlichen Hand
  • Leitungswasser anstatt Flaschenwasser trinken
  • Blue Communitys vernetzten sich und pflegen öffentlichen Partnerschaften

Und deswegen werden in Büdingen am Wolfgang-Ernst-Gymnasium immer wieder Projekttage und Veranstaltungen zum Thema nachhaltige Wassernutzung durchgeführt. So werden die Schülerinnen und Schülern angeregt, sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Trinkwasser einzusetzen.


„Die Kriege des 21. Jahrhunderts werden nicht um Öl, sondern um Wasser geführt“, sagte im Jahr 1986 der spätere UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali. Denn schon damals gehörte der Streit um Wasser zum Alltag vieler Menschen. Seither hat sich mit der zunehmenden Klimaveränderung und der Entstehung einer globalen Wasserkrise das Konfliktpotential verschärft.

 

Homepage von Blue Community Deutschland

 


Pestizide: ungeklärte Fragen

Viele Forschende plädieren für eine schnelle Reduzierung des Pestizideinsatzes um 50 Prozent, wie es im Globalen Biodiversitätsrahmen von Montreal für 2030 festgelegt wurde. (Foto: NABU/Klemens Karkow)
Viele Forschende plädieren für eine schnelle Reduzierung des Pestizideinsatzes um 50 Prozent, wie es im Globalen Biodiversitätsrahmen von Montreal für 2030 festgelegt wurde. (Foto: NABU/Klemens Karkow)

Chemisch-synthetische Pestizide werden in der Landwirtschaft vielseitig eingesetzt und wirken nicht nur gezielt, sondern schädigen auch Nicht-Zielarten wie Schmetterlinge oder Regenwürmer. Eine Studie der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) untersuchte erstmals die Pestizidbelastung im Jahresverlauf. Sie zeigt, dass Stoffe nicht nur während der Spritzphasen, sondern ganzjährig und auch auf angrenzenden Wiesen nachweisbar sind. Die Auswirkungen dieser chronisch nachgewiesenen komplexen Pestizidmischungen auf die Umwelt sind bislang nicht ausreichend untersucht.


„Dass es nach mehr als 50 Jahren Einsatz von Pestiziden keine Daten zur Belastung der Ackerböden gibt, erscheint umso erstaunlicher, da Pestizide Bodenlebewesen und damit auch die Bodenfruchtbarkeit negativ beeinflussen“, so Carsten Brühl, Ökotoxikologe an der RPTU. Pestizide konnten auch in den umliegenden Wiesen nachgewiesen werden.


Brühl betont die unspezifische Wirkung von Pestiziden auf biologische Prozesse und ihre schädigende Wirkung auf Nicht-Zielarten. Im europäischen Zulassungsverfahren werden jedoch nur Einzelstoffe bewertet, nicht die komplexen Mischungen. Studien belegen den Zusammenhang zwischen Pestiziden und dem Rückgang der Artenvielfalt, insbesondere bei Insekten.


Die Forschenden plädieren für eine schnelle Reduktion des Pestizideinsatzes um 50 Prozent, wie es im Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal für 2030 festgelegt wurde. „Wir müssen jetzt handeln“, fordert Brühl. „Der Rückgang der Biodiversität wird unsere Lebensgrundlage negativ beeinflussen.“


Die Studie: Carolina Honert, Ken Mauser, Ursel Jäger, Carsten A. Brühl. 2025. Exposure of insects to current use pesticide residues in soil and vegetation along spatial and temporal distribution in agricultural sites. Scientific Reports. doi.org/10.1038/s41598-024-84811-4


Gold, Silber, Platin und Co. für die Umwelt recyceln

Smartphones stecken voller Rohstoffe, die recyelt werden können. (Foto: NABU/Sebastian Hennings
Smartphones stecken voller Rohstoffe, die recyelt werden können. (Foto: NABU/Sebastian Hennings

Am 4. Regionalmarkt des NABU Ortenberg (30. 03.25, 10.18 Uhr) sammeln wir alte und funktionsuntüchtige Handys/Smartphones und Tablets, um sie umweltgerecht recyceln und entsorgen zu lassen. Denn in Deutschlands Schubladen lagern über 200 Millionen gebrauchte Smartphones und Tablets, die nicht mehr funktionieren oder durch neuere Modelle ersetzt wurden. 

 

Das Recyclingcenter eines großen deutschen Telekommunikationsanbieters gewann aus Altgeräten mehr als zwei Tonnen Gold, 20 Tonnen Silber und 720 Tonnen Kupfer. Das ist eine große Menge wertvoller Rohstoffe, die aber nur dem Kreislauf wieder zugeführt werden können, wenn die Geräte fachgerecht aufbereitet werden. 

 

In einem Smartphone stecken etwa 60 verschiedene Rohstoffe! Darunter auch seltene Metalle und die sogenannten seltenen Erden (u.a. Gold, Platin, Silber, Pal­ladium, Kupfer, Neodym, Wolfram, Tantal, Neodym, usw.). Diese teils kritischen Rohstoffe (Einstufung der EU) sind sehr selten und nur eingeschränkt verfügbar. Deswegen wird das Recycling von Smartphones und anderen elektronischen Geräten immer wichtiger. Doch das Recycling ist teuer, und deswegen landen auch unsere Smartphones viel zu oft z.B. afrikanischen Ländern, oftmals auf Kosten der Menschen und der Natur.

 

Die Sammelbox findet Ihr am Infostand des NABU Ortenberg.


Mist, wie heißt der nochmal?

Auch naturinteressierten Menschen fällt nicht immer der Name einer Art ein - das war aber bei arten|pisa gefragt: 36 in Deutschland heimische, meist häufig vorkommende Arten anhand von Fotos zu erkennen und zu benennen. Maximal waren also 360 Punkte möglich, diese haben nur 3 der 26.552 Teilnehmenden erreicht. Im Schnitt wurden 236 Punkte erzielt. Und im Durchschnitt war auf dem Land das Wissen größer als in den Städten, und im Osten größer als im Westen.
arten|pisa wurde zum dritten Mal durchgeführt. 2017 und 2019 waren die Ergebnisse ähnlich. Wer sich bei dem Thema Artenwissen unsicher fühlt, für den sind die Angebote der NABU|naturgucker-Akademie ideal. Dort können sich Interessierte auch ohne Vorkenntnisse in kostenlosen Onlinekursen Artenwissen aneignen können.
NABU|naturgucker ist der Citizen-Science-Partner des NABU und betreibt neben der Akademie ein Meldeportal für Naturbeobachtungen.

 


"Nationale Biodiversitätsstrategie" beschlossen

Morgenröte für den Naturschutz? Aktuell bestehen vielfach Zweifel daran. (Foto: Weigand Naumann)
Morgenröte für den Naturschutz? Aktuell bestehen vielfach Zweifel daran. (Foto: Weigand Naumann)

(22.01.25): Die Bundesregierung hat am 18.12.2024 die "Nationale Biodiversitätsstrategie (NBS)" beschlossen, um den Verlust der biologischen Vielfalt entgegenzuwirken. Der Beschluss ist sehr wichtig, aber die Umsetzung durch Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und zivilgesell-schaftliche Akteure wird entscheidend sein.

 

Der NABU Ortenberg hofft, dass Naturschutz auch nach dem 23. Februar bei der neuen Regierung eine hohe Priorität hat und nicht populistischen Interessen zum Opfer fällt.

 

Unabhängig davon setzt sich der NABU Ortenberg weiterhin für eine gesunde und lebenswerte Natur und Umwelt ein.